Lehrplanforschung

Curriculare Planungen

Kompetenzen im Kontext

Posted on | April 26, 2014 | Kommentare deaktiviert für Kompetenzen im Kontext

Moritz Rosenmund Referat_140204-1

Geschichte als Fach

Posted on | April 25, 2014 | Kommentare deaktiviert für Geschichte als Fach

April 2014 Public history weekly (Peter Gautschi): Lehrplanentwicklung: Kill your darlings?

Der Präsident des LCH zum Lehrplan 21

Posted on | April 16, 2014 | Kommentare deaktiviert für Der Präsident des LCH zum Lehrplan 21

16.04.2014 NZZ: LCH-Präsident Beat W. Zemp zum Lehrplan 21

Auswertungsbericht der Konsultation zum Lehrplan 21

Posted on | April 10, 2014 | Kommentare deaktiviert für Auswertungsbericht der Konsultation zum Lehrplan 21

April 2014 Lehrplan 21 Konsultation (Dokumente der Projektleitung)
Medienmitteilung
Auswertungsbericht
Überarbeitungsaufträge

Aufruf zur Revision des Lehrplan 21 Entwurfs

Posted on | März 25, 2014 | Kommentare deaktiviert für Aufruf zur Revision des Lehrplan 21 Entwurfs

März 2014 Babylonia Gianni Ghisla: Lehrplan 21: Eine Chance zur Einsicht und zu einem Neuanfang

Ein Streitgespräch zum Lehrplan 21

Posted on | Februar 25, 2014 | Kommentare deaktiviert für Ein Streitgespräch zum Lehrplan 21

27.2.2014 DRS 2 Kontext Lehrplan 21: praxisfern oder zukunftweisend? Gespräch zwischen Kathrin Schmocker und Rudolf Künzli zum Lehrplan21. Moderation: Sabine Bitter.

„…. und alle in gleichen Klamotten!“

Posted on | Februar 11, 2014 | Kommentare deaktiviert für „…. und alle in gleichen Klamotten!“

Nichts gegen Harmonisierungen im Bildungssystem. Es ist ja auch ein gutes Wort, meint Harmonie, nicht Zwang wie Zentralisierung zum Beispiel. HarmoS heisst denn auch das schweizerische Projekt koordinierter Schulpolitik, dem das Schweizer Volk in grosser Eintracht und Mehrheit zugestimmt hat. Aber dass es bei der Umsetzung dieser Harmonisierung sehr harmonisch und einträchtig zuginge, lässt sich nicht sagen, wenn man die vielen Einsprüche bedenkt, welche das  neueste Produkt dieser Anstrengungen, der Lehrplan 21, ausgelöst hat. Dabei geht es hier doch ganz wesentlich um den Kern, die Harmonisierung der kantonalen Volksschulen. Offenbar verstehen nicht alle das Gleiche unter einer ‚Harmonisierung’ des Bildungssystems.

Man denkt dabei ja doch zunächst an Strukturen und Rahmenbedingungen, die Angleichung der Pflichtstunden insgesamt und der Schulfächer im Einzelnen, die Gliederung der Schulstufen und –typen, die Abfolge der Schulfächer, der Fremd-sprachen zum Beispiel und den Verpflichtungsgrad der Lernbereiche und Angebote. Aber das wird im Lehrplan 21 nicht geregelt, das liefe auf Gleich-macherei hinaus, wie eine Bildungsdirektorin dazu meinte, auf eine unerwünschte Zentralisierung. Gleich gemacht werden sollen nicht die Gärten der kantonalen Bildungsdirektorinnen und -direktoren, vergleichbar gleich gemacht werden sollen bloss die Absolventinnen und Absolventen ihrer Anstalten. Und dazu wird der Auftrag an den Massstab angepasst, mit dem das Ergebnis solcher Angleichung gemessen werden kann und soll. Das ist die heimliche Botschaft und Absicht der Harmonisierung der Volksschule durch die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne.

 Der pervertierte Bildungskanon

Harmonisiert werden hier nicht die Bildungsgänge, auch nicht das Bildungs-angebot, harmonisiert wird das Bildungsprodukt, der Out-put der Schule, die erwarteten Lernergebnisse, die zu erreichenden Kompetenzen. Man hält es hier wohl mit der EU und ihren Vermarktungsnormen, da werden auch nicht die Produktions- und Anbauformen geregelt, sondern die zum freien Markt zu- gelassenen Produkte mit maximaler Krümmung bei Gurken oder Mindestgrössen bei Nektarinen, Birnen oder Bohnen.

An die Stelle einer verpflichtenden Festlegung des Bildungsangebotes (Bildungs-kanon) tritt im Lehrplan 21 die Normierung der Lern- und Bildungsergebnisse. Die Fülle bedeutsamer kultureller und zivilisatorischer Leistungen verkommt zur okkasionell nutzbaren Reservatenkammer, aus der sich bedient, wer die markt-gängige Kompetenzsoftware programmieren muss. Die Inhalte tauchen allenfalls in Klammern und mit der Klausel „zum Beispiel“ auf, so „(z. B. Tell-Sage)“ als möglicher Lern- und Übungsstoff im Lernbereich ‚Natur, Mensch, Gesellschaft’, worauf ein anderer Bildungsdirektor stolz verweist. Und „die Antike“ oder auch „das Spätmittelalter“ kann dort z.B. abgerufen werden, um die „Machtverteilung an einem geschichtlichen Beispiel zu erklären“, „der böse Räuber im Kasperlitheater“ um „unter Anleitung typische inhaltliche Merkmale“ einer Textform zu erkennen oder die „Gentechnik“, um „sich angeleitet über die Bedeutung von Technik und naturwissenschaftlichen Anwendungen für den Menschen informieren“ zu können. Wie im Warenhauskatalog kommen sie daher, die Inhalte zur freien Auswahl und Bestellung in Wikipedia, in den Clouds jederzeit abrufbar, wo möglich.

Unter Geringschätzung des Bedeutungsreichtums und der Bedeutungsvielfalt jener Welt, die es nach Humboldt zu ergreifen gälte, werden die Stoffe und Inhalte auf ein administrativ und bildungsbürokratisch definiertes Kompetenzprodukt hin ausgerichtet. Und andere Assoziationen und Ansichten von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern unter Missachtung aller Individualität in Bildungsprozessen gar nicht erst ins didaktische Kalkül aufgenommen. So trans-formiert sich der klassische Bildungsgedanke einer humanen Perfektion in der Auseinandersetzung mit den Bildungsgütern unserer Zivilisation zur Perversion humaner Bildung als Produktion vergleichbarer auf dem Markt von Arbeit und Freizeit brauchbarer, verfügbarer und funktionierender Leistungsträger.

Die Schule als geistige Kopieranstalt und der Geist von copy & paste

Nun waren und sind der Hang und die Tendenz zur Normierung und Vereinheitlichung der Schule nie fremd. Im Gegenteil, der grosse französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in der Institution Schule jene ‚verhaltens-normierende Instanz‘ erkannt, der die Funktion zufalle, „bewusst (oder zum Teil auch unbewusst) Unbewusstes zu übermitteln oder, genauer gesagt, Individuen hervorzubringen, die mit diesem System der unbewussten (oder tief vergrabenen) Schemata ausgerüstet sind, in dem ihre Bildung bzw. ihr Habitus wurzelt. Kurz, die ausdrückliche Funktion der Schule besteht darin, das kollektive Erbe in ein sowohl individuell als auch kollektiv Unbewusstes zu verwandeln.“1

Freilich, die hier mit Habitus benannte Normierung erwächst aus der Auseinander-setzung mit den Bedeutungsgehalten des kollektiven kulturellen Erbes und nicht aus der Einpassung in die Vermarktungsnormen brauchbaren Könnens.

Dabei handelt es sich freilich nicht einfach um eine besondere Verirrung der Schulpolitik, diese folgt mit ihren Vorgaben lediglich einer kulturellen Trans-formation der Wissensproduktion und Wissensvermittlung gemäss den Regeln der grossen „Kopiermaschine Internet“.

„An den Universitäten setzt sich in der Lehre überall Routine und Vereinheit-lichung fest, weltweit werden dieselben Lehrbücher verwendet, die gleichen Folien präsentiert – und auf Abweichungen und Unterschiede hat kaum jemand Lust“, so diagnostiziert es kritisch der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes Thomas Straubhaar.2 Das neueste Vehikel solcher Vereinheitlichung heisst MOOC (massive open online courses). Straubhaar erkennt in dieser Vereinheitlichung einen auch wirtschaftlich längerfristig relevanten Verlust an Wettbewerbs- und Problemlösefähigkeit der Gesellschaft, wenn sich deren Innovationskraft allein noch auf das marktgängige Design von in der Substanz einheitlicher oder identischer Problemlösungen und Produkte verlegt. Der Geist des ‚copy & paste’ hat sich nicht bloss in den Keimbahnen wissenschaftlicher Arbeiten (in Form ihrer Plagiate) breit gemacht, sondern auch längst in den Produktionszentren einer neuen Medientechnologie, wie die gegenseitigen Urheberrechtsstreitigkeiten und Abschlagszahlungen der neuen Marktgiganten fast täglich belegen. Das Bedürfnis nach Orginalität und Authentizität erschöpft sich dann im Kult der  Replikate, im Konsum von Heritage- und Vintage-produkten.

 Die Lust am Gleichen

Die Skirennläuferin Maria Höfl-Risch wurde zur Fahnenträgerin der deutschen Olympiamannschaft in Sotschi gewählt. Sie war hoch erfreut über diese Wahl und meinte, dass ihr kalte Schauer über den Rücken laufen würden, wenn sie die deutsche Delegation voran ins Stadion führen dürfe. Und begeistert fügte sie hinzu: „und alle in gleichen Klamotten!“ Welch ein Ausruf! Woher kommt diese Lust am Gleichen? Nun, ich will hier keine massenpsychologischen Reflexionen über Uniformen und Gleichschritte anstellen. Ich nehme nicht an, dass unsere Bannerträger im Bildungswesen mit ähnlichen Empfindungen ihre Bildungsstandards, Kompetenzen und PISA-Ergebnisse in die bildungspolitische Arena tragen oder sie in der Pariser OECD-Zentrale präsentieren, aber man weiss ja nie.

Man sollte die Zürcher Bildungsdirektorin an ihr eigenes Wort erinnern, „es geht nicht um Vereinheitlichung!“, schon gar nicht der Schülerinnen und Schüler. Equity ist zwar eine strukturelle Bedingung einer humanen Schule, ihr Zweck aber ist im Gegensatz dazu Differenz, Kultivierung von Andersheit und Förderung von Besonderheit. Man sollte sich da auch nicht von der Papageienuniform der deutschen Olympiamannschaft in Sotschi leiten lassen.

[1] Bourdieu, P. Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis. In. Drs.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. (S. 125-158, 139) Frankfurt: Suhrkamp 1970.
[1] Zit. in W. Lotter: Die Falschen und das Echte. brandeins 16. Jg. H.1 Januar 2014, S. 42-50, 50.

Aarau, im Februar 2014
Rudolf Künzli

Kritik der Kompetenz

Posted on | Januar 25, 2014 | Kommentare deaktiviert für Kritik der Kompetenz

07.01.2014 Kurzreferat Prof. Dr. Walter Herzog (Uni Bern) am Ausbildungsplenum der PH Luzern: Kompetenzorientierung –eine Kritik am Lehrplan 21 (PDF)

„Dass einer fiedelt, soll wichtiger sein, als was er geigt“

Posted on | Januar 13, 2014 | Kommentare deaktiviert für „Dass einer fiedelt, soll wichtiger sein, als was er geigt“

Nachgetragene Gedanken zur Kompetenzorientierung

In mancher Hinsicht lässt sich der Streit um das Konzept der Kompetenzorientierung der berühmten Kontroverse der Musikpädagogen in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts vergleichen. Ein Vergleich lohnt sich deshalb, weil er zeigt, dass unsere heutigen Kontroversen so neu nicht sind, wenn sie auch in neuer Gestalt und anderem kulturellen wie sozialen Kontext daher kommen, und er uns die Komplexität und Vielschichtigkeit solcher Auseinandersetzungen vor Augen führen kann. Und – was das Wichtigste dabei ist – wir haben mit Th. W. Adorno vielleicht einen der unbestechlichsten und scharf-sinnigsten Kultur- und Sozialphilosophen als Vordenker und Gesprächspartner zur Seite. Sein intellektuelles Niveau allerdings wird in der Debatte nur schwer zu erreichen sein, aber das beklagten schon seine Zeitgenossen und Kritiker aus der Musikszene. Adornos Kritik betraf ein seit der Jugendbewegung in schulischen wie ausserschulischen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen vorherrschendes musikerzieherisches Konzept, das in der Musik vorrangig eine pädagogische, kultische und gemeinschaftsbildende Kraft sieht und auf solche Verwendbarkeit setzt.

Freilich kann ich den Vergleich in diesem Blog bloss andeuten und nicht ausführen. Ich verstehe ihn deshalb nur als Hinweis an jene, die sich über die blossen Tagesaktualitäten hinaus für die soziologischen und kulturphilosophischen Hintergründe des Themas interessieren und sich nicht mit der immer wieder erstaunlichen historischen Selbstvergessenheit unserer Disziplin zufriedengeben wollen. Ihnen kann ich nur raten, lesen Sie Adorno!

Wer die 1955 erschienene „Kritik des Musikanten“1 mit Blick auf gegenwärtigen Debatten auch zwischen den Zeilen zu lesen vermag, wird reich belohnt:

a)  Er wird aufmerksam auf den ideologisch politischen Unterton und Hintergrund von ‚neutralen‘ anthropologisch oder kognitions- und lernpsychologisch abgestützten pädagogischen Konzepten insbesondere dort, wo solche sich mit populären und eingängigen Vorstellungen verbinden. Beides trifft auf das musikpädagogische Konzept der Singbewegung, der Spielkreise und des Laienmusizierens in den ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und das aktuelle Konzept der Kompetenzorientierung zu. Wie bei der Singbewegung handelt sich auch hier um eine internationale ‚pädagogische Bewegung‘. (Siehe dazu meinen Beitrag: Kompetenzen in Lehrplänen – eine hoffnungsfrohe Systemreform ). Es scheint mir wichtig, dies festzuhalten. Denn die Kritik am theoretisch unausgereiften Konzept der Kompetenzorientierung erreicht seine soziale Vitalität und Wirkungsmächtigkeit kaum. Sie nährt sich aus der Gleichsetzung mit der geradezu selbstverständlichen Erwartung, dass wer etwas lernt, dann auch etwas kann.

b)  Eine solche Gleichsetzung deckt alle Differenzen im Können zu, reduziert sie auf ein Machen-Können, auch Vorstellen, Verstehen und Erkennen werden dann reduziert auf ein Zeigen-können. Und so wird über solche Gleichsetzung die dominante Erwartung, dass Schule verwendbare Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln habe, transportiert. Die klassische curriculare Frage von H. Spencer: What knowledge is of most worth? legt in solchem Verständnis das gesellschaftlich verfügbare Wissen allein noch auf die Waage der Brauchbarkeit und Nützlichkeit. Welches Wissen in der Schule vermittelt wird, hängt dann von der Antwort auf die Frage ab, welches am besten zum Erwerb einer Kompetenz taugt. Wie sehr die Ideologie der Verwertbarkeit und Brauchbarkeit die gegenwärtigen schulischen Bildungskonzepte bestimmt, zeigt sich auch in der Rede vom ‚trägen‘ oder vom ‚toten‘ Wissen, welche mit einer praktizistischen Schrumpfform des konstruktivis-tischen Lernparadigmas Schule gemacht hat. Wer dabei an ‚totes Kapital‘ denkt, liegt nicht falsch! Die Assoziation entlarvt die zugrunde liegende ökonomische Sicht. Dem ‚Scheinrevolutionären‘ der Sing- und Jugendbewegung, das Adorno konstatiert (Adorno 1973, 89), entspricht das ‚Scheinmoderne‘, in Wahrheit aber Reaktionäre der Kompetenzbewegung.

c)  Die Kompetenzorientierung reduziert tendenziell die gesellschaftlichen Funktionen von Schule auf deren wirtschaftlichen und politischen Nutzen, jedenfalls werden deren personale Leistungen nachrangig. Viel mehr als die Vermittlung der klassischen Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen und Messen (siehe PISA) scheinen in einem so verstandenen Enkulturationskonzept kaum noch Platz zu haben. In Abwandlung des berühmt gewordenen Satzes aus der ‚Kritik des Musikanten‘: „Der Begriff des Musikanten aber meint insgeheim bereits den Vorrang des Musizierens über die Musik; dass einer fiedelt, soll wichtiger sein, als was er geigt“ (Adorno 1973, 75), könnte man formulieren: ‚Der Begriff des kompetenten Schülers aber meint insgeheim bereits den Vorrang des Könnens über die Kultur; dass einer etwas kann, soll wichtiger sein, als was er versteht‘. Es offenbart sich darin eine kulturelle Selbstvergessenheit, welche Entwicklung und Bildung als individuelle Schöpfung ex nihilo begreift und sich bzw. den Schülern die Auseinandersetzung mit dem erreichten Stand zivilisatorischer und kultureller Leistungen und Güter glaubt ersparen zu können oder zu müssen. ‚Kulturelle Objektivationen‘ hat W. Dilthey den Bestand des Zu-Meisternden genannt, die geisteswissenschaftliche Pädagogik nannte sie dann ‚Bildungsinhalte und Bildungsgehalte‘.

d)  Bildungsinhalte zu Vehikeln des Könnens zu degradieren, widerspricht nicht nur jeder Idee von Bildung, sondern auch dem Selbstzweck der Individuen. In diesem Sinne widersprach Adorno einem musikpädagogischen Konzept, welches Musik wegen ihrer sozialisierenden und gemeinschaftsbildenden Kraft in den Dienst von Erziehung stellte (Adorno 1973, 27ff.). Es sind die kulturellen Schöpfungen selbst, die zivilisatorischen und technischen Errungenschaften, die grossen Rahmenerzählungen unserer physischen und sozialen Herkunft, die grossen Irrtümer, Erfahrungen und Erkenntnisse, denen sich zu stellen hat, wer auf der Höhe seiner Zeit leben möchte, an deren Zumutungen sich abarbeiten muss, wer die Freiheit des Selberdenkens und –bestimmens erreichen will, welche Bildung verspricht. Die Bildungsinhalte selbst stellen ihren Bildungsanspruch, nicht wir haben sie auf ihren Nutzen abzuklopfen. Wer sich nicht einlassen kann oder darf auf ein Gedicht, sich nicht versenken in die offenbaren Geheimnisse der Metamorphosen und der Photosynthese, die Gesetzmässigkeit der Bewegung der Gestirne, nicht grübeln über einem mathematischen Rätsel, sich dem Grauen und den Folgen der Schlacht bei Marignano und des zweiten Weltkrieges nicht aussetzen oder den Gründungsmythos des Rütlischwurs und die Geschichte der Alpenquerung erkunden, der wird nichts von dieser Welt, vom Menschen und seinen Möglichkeiten und Grenzen, seiner eigenen Herkunft und Prägung verstanden haben. Zu welchem Ergebnis solche Auseinandersetzungen führen, muss aber um der Freiheit der Individuen willen letztlich offen bleiben. Oder um es mit einem auf Bildung statt Kunst abgewandelten Satz aus Schillers 2. Brief ‚Über die ästhetische Erziehung des Menschen‘ zu formulieren: „…; denn die Bildung (Orig. Kunst) ist eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschriften empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfnis und beugt die gesunkene Menscheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das grosse Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen.“2 Die Indienstnahme von Kultur zu pädagogischen Zwecken und die Unterwerfung schulischer Lernprozesse unter den Massstab ihrer Verwertbarkeit sind der penetrante Sound des hohen Liedes von den Kompetenzen.

e)  Die kulturelle Selbstvergessenheit dieser Bewegung hat ihre Entsprechung in der Selbstermächtigung ihrer lehrplanenden Akteure. Und hier wiederholt sich curriculare Geschichte. In ganz analoger Weise hatte sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die letzte grosse Lehrplanreform, die Curriculum-Bewegung, an die Arbeit gemacht, um in eingebildeter szientifischer und administrativer Selbstherrlichkeit kulturelle und schulische Traditionen durch curriculare Konstruktionen zu ersetzen. In seiner wunderbar polemischen Habilitationsschrift „Vermittlung als Gott“ hat Chr. Türcke 19853 die philosophischen und theologischen Hintergründe und Grundlagen einer Didaktik freigelegt, die glaubt, Tradition und Kultur seien ihre beliebig disponiblen Ressourcen, die auf ihre Bemächtigung nur warteten. Die Curriculum-Bewegung hat sich übernommen.

Das vielleicht grösste Versäumnis der Projektverantwortlichen des Lehrplan 21 ist es, dass sie nicht erkannt haben, bzw. vielleicht auch gar nicht sehen wollten, wie sehr die Kompetenzorientierung die Grundlagen des kulturellen Selbstverständnisses der Gesellschaft tangiert, und in dieser Blindheit auf ein fachliches Projektmanagement vertrauten, das seine professionelle Arbeit abseits demokratischer Meinungs-bildungsprozesse und öffentlicher intellektueller Auseinandersetzungen durchziehen zu können nicht bloss glaubte, sondern dies als Markenzeichen ihres neuen ‚modernen‘ und ‚professionellen‘ Verständnisses von Lehrplan und Lehrplanarbeit begriff. Aber ihr selbstverliebtes Lehrplangefiedel wird der komplexen Partitur unserer Schulen nicht gerecht.

Aarau, 13. Januar 2014
Rudolf Künzli

1 Erschienen in der Sammlung musikpädagogischer Schriften unter dem Titel „Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt“ bei Vandenhoeck & Ruprecht (5. Aufl. 1991). Jetzt auch in Adorno, Th. W. (1973). Gesammelte Schriften: 14 (67-107). Frankfurt: Suhrkamp.
2 Schiller, Fr. (1795/1966): Über ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Zweiter Brief. dtv-Gesamtausgabe Bd. 19 5-95, 7. München.
3 Türcke, Chr. (21994). Vermittlung als Gott. Metaphysische Grillen und theologische Mucken didaktisierter Wissenschaft. Springe: zu Klampen Verlag

Wohin soll die Reise mit der Volksschule gehen?

Posted on | Dezember 30, 2013 | Kommentare deaktiviert für Wohin soll die Reise mit der Volksschule gehen?

Fragen nach Abschluss der Konsultation zum Lehrplan 21. Versuch einer persönlichen Zwischenbilanz

Der Lehrplan 21 ist als ein Instrument zur Harmonisierung der kantonalen Schulsysteme gesellschaftlich und schulpolitisch hoch erwünscht. So wird er wahrgenommen. Neben der generellen Zustimmung zum Projekt werden allgemein das gute Design des Entwurfs gelobt und dass er elektronisch gut verfügbar ist. Auch die Kompetenzorientierung der Zielvorgaben wird im Grundsatz begrüsst.

Wenn man die staatsbürgerliche Zurückhaltung offizieller Stellen und Gremien bei der Kritik an andern Gremien in Konsultationen und Vernehmlassungen berücksichtigt, dann ist man aber dann doch überrascht vom Umfang und der Reichweite der Kritik am Lehrplanentwurf. Wenn man dann noch bedenkt, dass in einzelnen Kantonen, z.B. im Kanton Aargau, von 350 zur Konsultation angeschriebenen Organisationen, Parteien, Verbänden und Personen lediglich 70, wie ich lese, geantwortet haben und auch diese in der Mehrheit nur zu einzelnen Aspekten, so lese ich diese Zurückhaltung nicht als Zustimmung, im Gegenteil. Bei dem Thema muss man das als klare Botschaft verstehen, dass der Lehrplan 21 in der vorliegenden Form ein untaugliches Dokument für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über den Auftrag der Gesellschaft an unsere Schulen ist. Ich will hier nicht im Einzelnen wiederholen, was ich anderswo schon ausgeführt habe, den politisch strategischen Auftrag der Gesellschaft an die Schule und die verwaltungsorganisatorische und professionelle Auslegung dieses Auftrages in einem einzigen Lehrplandokument zusammenzufassen, ist eine überholte Vorstellung von Schulpolitik und moderner Schulgovernance.

1. Wie kommt es, dass der LP 21 bei aller grundsätzlichen Zustimmung doch so viel Kritik erfährt?

Verbände, Parteien und Verwaltungen zwischen Zustimmung, Erwartungen, Forderungen, Befürchtungen und Ablehnung

Der vorliegende Lehrplanentwurf hat eine sehr lange Entstehungsgeschichte. Es sind knapp 10 Jahre seit der Mandatierung zur Erarbeitung eines Entwicklungskonzeptes für einen sprachregionalen Lehrplan durch die D-EDK im März 2004. Doch bis zur dieser Mandatierung waren schon einige Jahre der Vorabklärungen verflossen. Parallel zur Mandatierung und in engem inhaltlichen und rechtlichen Zusammenhang dazu hat die EDK das Projekt zur Entwicklung und Erprobung von Bildungsstandards durchgeführt, die dann als verbindliche Grundkompetenzen für die Fächer Schulsprache, Mathematik, erste Fremdsprache und Naturwissenschaften im März 2010 beschlossen und zur Einarbeitung in die sprachregionalen Lehrpläne ‚freigegeben‘ wurden. Die Abstimmungen über den neuen Bundesverfassungsartikel und das HarmoS – Konkordat gehören in den gleichen schulpolitischen Kontext. In mehreren Schritten erarbeitete die mandatierte Projektgruppe der D- EDK einen ‚Grundlagenbericht‘, welcher die kantonalen Voraussetzungen für einen sprachregionalen gemeinsamen Lehrplan sichtete, die Ziele formulierte und zentrale Eckwerte definierte. Nach Diskussionen und Vernehmlassungen bei den Kantonen wurde dieser Bericht im März 2010 verbindlich beschlossen. Zusammen mit den erarbeiteten und von der EDK zur Einarbeitung in den sprachregionalen Lehrpläne ‚freigegebenen‘ Grundkompetenzen bildete er die Grundlage für die Erarbeitung einer ersten vorläufigen intern diskutierten und dann der vorliegenden nun öffentlich gemachten Fassung.

Trotz dieser langen und umsichtigen Planungs-, Entwicklungs- und Konsultationsphase stellt sich auch bei einem bloss oberflächlichem Blick auf die öffentlich vorliegenden Rückmeldungen der Eindruck ein, der Lehrplan 21 sei für grosse Teile der zur Konsultation eingeladenen Gruppierungen nicht befriedigend ausgefallen, und bemerkenswert häufig ist der Ruf nach nicht bloss ‚kosmetischen‘, sondern ‚substantiellen‘ Überarbeitungen zu vernehmen.

Ich denke, man kann diesen Umstand nicht an einzelnen Kritikpunkten allein festmachen und erklären. Vielmehr wird dahinter ein tiefer liegendes Problem des Projektes sichtbar. Mir scheint eine gewisse Unklarheit oder auch Uneinigkeit in der Zielsetzung des Projektes dafür mitverantwortlich zu sein und auch eine Unsicherheit und Ungewissheit über die praktische Umsetzung, die pädagogischen Folgen und die schulpolitischen Konsequenzen des ganzen Unternehmens vorzuliegen. Die offizielle Kommunikation aus dem Projekt wie aus den Konsultationen hat mit manchen vieldeutigen Aussagen diesen Eindruck bestätigt und verstärkt.

Über den klar kommunizierten Willen zu einem interkantonalen sprachregionalen Lehrplan hinaus fehlt eine ebenso klare strategische Zielvorgabe über die damit zu erreichenden Ziele und erhofften Wirkungen. Man wird den Eindruck nie ganz los, dass vielfach taktisch und auf Zeit argumentiert wird und wenig strategisch grundsätzlich:

Unterscheidungen zwischen Harmonisierung und Vereinheitlichung

Das gilt etwa für einen Kernbereich des Projektes, die Harmonisierung kantonaler Schulsysteme. Unterscheidungen zwischen Harmonisierung und Vereinheitlichung etwa im Bezug auf die Frage der Zahl der Fremdsprachen und der Reihenfolge ihrer Einführung oder die Angleichung der grossen Unterscheide bei den Stundentafeln wirken eher rabulistisch als klärend. Für ein Projekt, das immerhin mit dem Versprechen aufgegleist wurde, es solle die grösser gewordene Mobilität der Familien bei einem Kantonswechsel erleichtern, ist das nicht sehr Vertrauen erweckend.

Administrative Steuerung oder pädagogische Schulentwicklung

Uneinigkeit scheint auch darüber zu bestehen, ob und in wie weit der Lehrplan 21 zunächst einfach ein Projekt zur koordinierten Steuerung der kantonalen Schulsysteme darstellt und wie weit darüber hinaus auch eine eigentlich pädagogisch motivierte Schulentwicklung in Gang gesetzt werden soll. Aussagen, dass das im Lehrplan 21 inhaltlich Geforderte gar nicht neu und in grossen Teilen längst Praxis sei, stehen im Gegensatz zur Rede vom grössten Entwicklungsprojekt seit der Einführung der Schulpflicht und den Forderungen nach neuen Lehrmitteln und intensiver Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung.

Kantonale Einführung und interkantonal verbindliche Umsetzung

Die Einführung des Lehrplans 21 ist Sache der Kantone, das ist die einheitliche auch juristisch gefestigte Überzeugung und Absicht. Damit ist nun freilich ein schulpraktisch und pädagogisch ernsthaftes Problem verbunden. Denn die Wirkungen, die Folgen und die Nebenfolgen des neuen Lehrplanes hängen sehr viel weniger vom dort beschlossenen Text ab als von der Art seiner Umsetzung. Deshalb sind Aussagen über die Wirkungen und Folgen auch schwer zu kalkulieren. Wir wissen nicht, ob und wie einheitlich die Umsetzung erfolgen wird, ob z.B. die Stundentafeln angepasst werden oder nicht, wie die Kompetenzen gewertet werden, ob sie einheitlich, vergleichend, schulintern, extern schulübergreifend gemessen werden. Wir wissen nicht, ob und wie die Ergebnisse in die Schulzeugnisse eingehen. Auch wissen wir nicht, ob und wie sie für Promotion (Versetzung) und Selektion (Schulübertritte) verwendet werden. Wir wissen auch nicht, wer mit welcher Ausbildung die neu geschaffenen Lernbereiche unterrichten wird, ob das Lehrpersonen für den ganzen Bereich sein werden, oder ob der Unterricht dann doch von verschiedenen Fachlehrpersonen erteilt wird usw. usf. Man fragt sich angesichts der schulpraktischen Bedeutung dieser offenen Fragen, ob die kantonale Schulhoheit, welche als schulpolitisch unumstösslich föderale Grundlage auch dieses Projektes gilt, da nicht doch um der Sache willen in Rutschen kommt, ja eigentlich zwingend kommen müsste. Der Spielraum der Kantone sei nach wie vor gross, die föderale kantonale Bildungshoheit werde davon nicht tangiert, wird in den einzelnen Kantonen mit unterschiedlichen Akzenten betont. Zugleich aber werde man dann schon dafür sorgen, dass die Abweichungen von der sprachregionalen Vorgabe gering bleiben. Solche Aussagen verweisen aber nur auf das schulpolitische Glatteis, das da betreten wird, je näher die praktische Umsetzung rückt und je klandestiner das Thema in der öffentlichen Debatte behandelt wird.

Erweiterte Leistungskontrollen und didaktische Innovation

In vergleichbarer Weise mehrdeutig erscheint dann auch ein eigentliches Kernstück des neuen Lehrplans, die Kompetenzorientierung. Die damit verbundenen Ziele und Absichten schwanken zwischen einer didaktisch methodischen Innovation und der Optimierung einer administrativ schulpolitischen Leistungskontrolle. Für das letztere spricht, dass der Lehrplan 21 in vieler Hinsicht ein Kind des PISA Schocks ist. Er übernimmt die wesentlichen Instrumente der OECD Studie zur vergleichenden Leistungsmessung, die Standards und Kompetenzen. ‚PISA‘ erscheint so als heimliches Muster für die neue interkantonale Schulsteuerung einer ‚evidence based educational policy‘. Vergleichende Leistungsmessungen, insbesondere interkantonale oder gar internationale erfordern eine gewisse Distanz gegenüber den in der Schule konkret vermittelten und gelernten Inhalten. Im Unterschied zu den immer noch stark inhaltsbezogenen Lernzielen traditioneller Lehrpläne werden Kompetenzen, wie sie auch der Lehrplan 21 beschreibt, als weniger themenabhängig und damit besser vergleichbar wahrgenommen. Sie sind professionell auf das Erfordernis besserer Messbarkeit und inhaltneutraler Vergleichbarkeit der Lernergebnisse ausgerichtet. Für die erste Ausrichtung kann ein Verständnis von Kompetenzorientierung stehen, das auf pädagogisch didaktischen Theorien und Überlegungen zu dem, was dort auch ‚vollständige Lernprozesse‘ genannt wird, basiert. Vollständiges Lernen einer Sache nämlich schliesst immer auch die Anwendung des gelernten Wissens und Könnens ein. Das sind zwar keine neuen Einsichten, aber der Anwendungsbezug schulischen Wissens tangiert zweifellos ein methodisch didaktisches Grundproblem schulischen Lernens. Seine Akzentuierung wird deshalb auch als besondere unterrichtsmethodische Herausforderung wahrgenommen.

Solange nicht hinreichend klar ist, wie die auf der Basis der Grundkompetenzen und des neuen Lehrplans basierenden externen und vergleichenden Evaluationen organisiert werden, wie das Bildungsmonitoring konkret durchgeführt wird, in welcher Frequenz und Häufigkeit, flächendeckend oder punktuell, droht die pädagogisch didaktische Innovation der Kompetenzorientierung allein in den Sog externer Kontrollbedürfnisse zu geraten, der mehr der Administration und der Bildungsverwaltung und –politik dient und weniger die Qualität des Unterrichts fördert.

2. Welches sind wesentliche Kritikpunkte am Lehrplan 21?

Konzept und Ausführung in der Kritik

Natürlich muss man bei der Bewertung mancher Kritiken auch berücksichtigen, dass Lehrpläne in der Regel mit sehr hohen, meist allzu hohen praktischen Erwartungen verbunden sind. Sie sind erwartungsüberfrachtet. Ich kann und will hier auch nicht auf einzelne Forderungen aus den Konsultationen eingehen. Wichtiger scheint mir, auf einige grundsätzliche, zwar nicht ganz neue, aber doch deutlicher sichtbar gewordene Kritikpunkte kurz einzugehen. Es sind dies in meinen Augen die folgenden vier:

a. Der Lehrplan 21 ist zu umfangreich, zu komplex und zu differenziert.

b. Der Lehrplan 21 baut auf der Fiktion linearer Lern- und Entwicklungsprozesse auf.

c. Der Lehrplan 21 unterschätzt die Bildungsbedeutsamkeit von Inhalten und Themen.

d. Dem Lehrplan 21 fehlt es an thematischen und pädagogischen Entwicklungsperspektiven für eine Schule von heute und morgen.

a) Überladen in Umfang, Differenzierungsgrad und Komplexität

Der LP 21 ist um Vieles zu umfangreich. Er verleitet dazu, die einzelnen Kompetenzen mechanisch abzuhaken. Da bleiben dann jeweils ein bis zwei Lektionen für eine solche Kompetenz. Es ist nicht ersichtlich, wie ein solches Abhaken von Lernzielen zum nachhaltigen Aufbau von Kompetenzen führen soll. Er lässt der individuellen Anpassung des Unterrichts an die Klasse wenig Spielraum. Eine der Kernfragen jeden Lehrplans, diejenige nach der Bedeutsamkeit der zu behandelnden Inhalte und Stoffe, bleibt unbehandelt. Der LP 21 verleitet so zu thematischer Beliebigkeit. Zusammen mit der Vielzahl der in Klein-Klein fein aufgegliederten Kompetenzen bleibt unklar, was Schülerinnen und Schüler am Ende eines Zyklus wirklich können oder können sollten. Das wird zu Über- und Unterforderungen führen.

b) Fiktionaler Kompetenzaufbau

Die Ausdifferenzierung der Kompetenzen in Kompetenzstufen und Kompetenzkomponenten und Lernschritte unterstellt ein ziemlich lineares Verständnis von Lernen und Entwicklung. Lernen und Entwicklung verlaufen nicht linear und nicht stetig, sondern in Schüben, Wendungen, Regressionen und unerwarteten Progressionen. Der Kompetenzaufbau im Lehrplan 21 ist praktisch ausschliesslich nach kognitiven Schwierigkeitsgraden konstruiert. Er berücksichtigt mehrheitlich weder die Entwicklung von Lernmotivation oder Interesse bei der individuellen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, noch deren unterschiedliche Lebenswelten. Der vielfach gerühmte Kompetenzaufbau über die gesamte Schulzeit ist eine reine Kopfgeburt.

c) Unterschätzte Bildungsbedeutsamkeit der Inhalte

Es ist auch für die Kompetenzen nicht gleichgültig, woran, an welchen Themen und Stoffen man sie erwirbt. Sie prägen das Gelernte. Und mehr noch, sie sind vielfach ein Motiv und Interesse aufbauendes und stabilisierendes Element für den anstrengenden Lernweg. Auch wenn es richtig ist, dass dem Erwerb von nützlichen Kompetenzen, das heisst lebenspraktisch brauchbaren Fertigkeiten und Kenntnissen in der Volksschule der Vorrang zukommt, und Lernen wo möglich immer auch die Anwendung des Gelernten einschliessen müsste, so sollte es in der Schule daneben auch noch Raum geben, anderes zu lernen und zu erkunden, etwas, was bloss interessant, faszinierend und schön ist, oder einfach Freude macht. Natürlich kann man auch, was etwa beim Theaterspielen gelernt wird, in Kompetenzen aufgliedern und abfüllen oder desgleichen die Beschäftigung mit den Dinosauriern und Monstern aller Art, aber macht das wirklich Sinn? Ist es wirklich wichtiger zu wissen und unterscheiden zu können, welche Kompetenzen im Einzelnen beim Lesen oder Erzählen einer Geschichte oder dem Rezitieren eines Gedichtes erworben werden, und ob der Exekution solchen Wissens dann die Lesefreude und den berührenden Sinngehalt der Stoffe zu vergessen oder auch nur hintan zu stellen? Auch, so meine ich, verlangt der ‚pflegliche Umgang mit dem schwindenden Bestand unserer kulturellen Traditionen‘ (H. Lübbe) und der zivilisatorisch erworbenen Üblichkeiten (‚einfache Sittlichkeit‘ heissen sie bei Hegel) eine sorgsame und wertorientierte Auswahl unter den sinnstiftenden und verbindenden kulturellen religiösen, ästhetischen, historischen und sozialen oder politischen Schöpfungen, Überlieferungen und Erlebnissen. Es bringt pädagogisch kaum einen Mehrwert, wenn auch solche Erfahrungen akribisch in Kompetenzen aufgegliedert werden, aber die Auswahl der Stoffe und Themen dem Belieben der einzelnen Lehrperson überlassen bleibt. Eben das müsste hier auch diskutiert werden, wie viel kulturelle und gesellschaftlich geprägte Erinnerungspolitik (man kann das auch Leitkultur nennen) können, wollen und müssen wir uns auch in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft noch leisten?

d) Fehlende pädagogische Entwicklungsperspektive

Der LP 21 vermittelt eine rein technisch lernmethodische Idee von Schule. Ihm fehlt eine kohärente Idee vom Auftrag der Schule angesichts der gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen der modernen und sich beschleunigt verändernden Lebenswelten. Statt eine solche Perspektive zu entwickeln, muss dann bei der Konsultation über Sonderinteressen gestritten werden (Berufswahlvorbereitung, ICT, Ethik und Religion etc.). Es ist politisch und pädagogisch verantwortungslos im Jahre 2013 nach rund zehn Jahren Entwicklungsarbeit einen Lehrplan, der nota bene erst im Jahre 2017/18 (Kt. ZH) eingeführt werden soll, präsentiert zu bekommen, der diese Fragen nicht mal ansatzweise anspricht und das auch noch mit der Begründung, man habe mit dem Lehrplan keine Schulentwicklung angestrebt, sondern allein eine administrative Harmonisierung der Schulsteuerung.

 

3. Wie geht es weiter?

Kosmetische oder substantielle Überarbeitung

Nach der vorgebrachten Kritik im Ganzen und im Einzelnen dieser Konsultation wird eine gründliche Überarbeitung erfolgen müssen, zumal einzelne Kantone wie auch der LCH substantielle Veränderungen fordern. Was das im Einzelnen für das Projekt heisst oder heissen wird, ist (noch) nicht klar. Was sicher geschehen wird, ist eine Anpassung einzelner Kritiken wie beim ICT oder vermutlich auch bei der Berufsvorbereitung und den fächerübergreifenden Kompetenzen. Aus meiner Sicht wären vor allem drei Dinge notwendig:

1) Verzicht auf einen differenzierten Aufbau der Kompetenzstufen

Ein Verzicht auf den differenziert zeitlich getakteten Kompetenzaufbau sollte den Lehrplan entlasten. Das heisst, ich würde für die drei Lernzyklen und die Lernbereiche je nur die obersten Kompetenzziele stehen lassen und auf alle weiteren Differenzierungen und Unterteilungen in Lernstufen verzichten. Anstelle dieser Stufen würde ich klare thematisch stoffliche Vorgaben zu diesen Kompetenzen vorgeben.

2) Klare Vorgaben für die kantonalen Einführungen

Nötig wären dann klare Vorgaben und Entscheidungen für die Einführung und Umsetzung des Lehrplans 21 in den einzelnen Kantonen. Klar hiesse für mich auch, dass explizit gesagt würde, was bei der Umsetzung nicht beabsichtigt ist und was man zum jetzigen Zeitpunkt nicht gemeinsam zu erreichen anstrebt. Also z.B. keine einheitliche Stundentafel für alle Fächer oder nur für einzelne Fächer, wo dies, etwa wie im Sport, von Bundesseite her vorgeschrieben ist. Entweder keine gemeinsame Sprachpolitik zur Anzahl der Fremdsprachen und ihrer Reihenfolge in der Primarschule oder eben eine politische Einigung mit verbindlicher Vorgabe. Dies weiterhin offen zu lassen, ist m.E. nicht zu verantworten nach HarmoS. Einheitlich geregelt sollte auch die Art der Erfassung der Kompetenzen sein, was daran in welchem Umfange und wie gemessen und bewertet wird. Die Regelung der Kompetenzbeurteilung gehörte fixiert samt einer allfälligen Anpassung der kantonalen Promotionsordnungen. Ob und wie weit vergleichende Lernstandserhebungen für individuelle Schulprognosen, Versetzungen und Übertrittsempfehlungen für einzelne Schülerinnen und Schüler genutzt werden können oder sollen, wäre einheitlich zu klären.

3) Erarbeitung eines strategischen Schulleitbildes

Nötig wäre ferner die Erarbeitung eines strategischen Schulleitbildes für die gemeinsame Schulentwicklungs- und Reformpolitik der EDK in den nächsten 10 Jahren. Dazu gehörte eine klare Kommunikation über Einsatz und Nutzung der neuen Steuerungsinstrumente wie vergleichender externer Leistungsmessungen: die beabsichtigten Lernstandserhebungen, die Art der Kommunikation und Nutzung der Daten, die beabsichtigten und erwünschten Formen des Bildungsmonitorings samt der Teilnahme an international vergleichenden Bildungsberichten und Leistungsvergleichen. Auch Aussagen über die Stellung und die Position der Lehrpersonen müssten Teil eines solchen Leitbildes sein. Sind Lehrpersonen, wie der LCH vor Jahren proklamierte, primär Experten für das Lernen, oder sollten sie nicht auch Erziehungsautoritäten sein und vielleicht gar Bildungsfachleute, um damit die ganze Breite ihres Auftrages erfüllen zu können? Welche Konsequenzen hätte ein solches Leitbild der Lehrerschaft für die administrative Governance von Schule, für die Formen und Folgen schulinterner und externer Kontrolle und Evaluation? In ein solches Leitbild gehörten nicht bloss Aussagen über das Gewicht von ökonomisch relevanten Aspekten schulischer Bildung oder technologischer Entwicklungen wie ICT und Medien, sondern auch über das Gewicht kultureller Traditionen, religiöser, nationaler politischer Identitätsbildung.

 Ich halte es für das grösste Manko des vorliegenden Lehrplanentwurfes, dass er zu diesen zentralen Aspekten nationaler Schul- und Bildungspolitik keine kohärenten und expliziten Aussagen macht. Es ist absurd, in einer breiten gesellschaftlichen Konsultation darüber diskutieren zu lassen, welche Schreibkompetenzen am Ende des zweiten Lernzyklus von den Kindern zu erreichen sind oder welche Kompetenzen für die Wahrnehmung und das Verständnis von Bewegung und Geschwindigkeit Jugendliche nach drei oder sechs Jahren Schulzeit erworben haben sollten, und die genannten elementaren schulpolitischen Fragen auszuklammern.

 4. Fazit

Bei Lichte betrachtet, wissen wir heute weniger, wohin die Reise mit unserer Volksschule gehen wird, als vor dem Lehrplan 21. Der Auftrag der Gesellschaft an die Schule ist unklarer und diffuser als vorher. Das ist, gelinde gesagt, ein Versagen der Schulpolitik und der Projektleitung, nicht derjenigen, die diesen Lehrplan in den einzelnen Lernbereichen mit grossem Engagement und mit hoher Professionalität entwickelt haben. Es kann nicht Aufgabe der professionellen und administrativen Experten sein, diese bildungs- und schulpolitischen Entwicklungsfragen zu lösen. Sie hätten sicher auch zu den oben genannten offenen Leitbildfragen Substantielles zu sagen gewusst, aber man hat sie dazu nichts sagen lassen und sie in die Aussagenkäfige eng begrenzter fachlicher Zuständigkeiten und politischer Opportunitäten gesperrt.

Schade!

Der Lehrplan 21 darf und kann nicht das letzte Wort zur Entwicklung unserer Volkschule in den nächsten zwanzig Jahren gewesen sein.

 Rudolf Künzli, Rigi-Kaltbad, 30. 12. 2013

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